Studie zur digitalen Präsenz der Parteien vor der Wahl

Tatsächlich Neuland – wie die etablierten Parteien im Bundestagswahlkampf das Internet verschlafen

Die Präsenz der deutschen Parteien im Netz weicht stark von ihrer voraussichtlichen Bedeutung bei der Bundestagswahl im September ab. Die Union erreicht mit ihrer Website einen deutlich geringeren Anteil ihrer Wählerschaft als alle anderen Parteien. Kleinere Parteien wie die „Alternative für Deutschland“ weisen gemessen an ihrem aktuellen Wählerpotential eine sehr hohe Nutzung ihrer Website auf. Zudem bekennen sich mehr Facebook-Nutzer über ein Like zur AfD als zu CDU und CSU gemeinsam. Dies sind die wichtigsten Erkenntnisse unserer Studie über die digitale Präsenz der der politischen Parteien Ende Juli 2017.

Über das Tool Similarweb lassen sich sowohl Anzahl der Visits als auch die Dauer des Website-Besuchs messen und mit dem aktuellen Ergebnis der Sonntagsfrage von Infratest Dimap vergleichen. Wäre die Internet-Affinität bei allen Parteien gleich hoch ausgeprägt, müsste die prozentuale Verteilung der Visits und Facebook-Likes aller Parteien zumindest grob mit ihrem Stimmanteil übereinstimmen. Abweichungen weisen auf eine über- bzw unterdurchschnittliche digitale Präsenz der Partei hin.

Vor allem die Union schneidet mit 136.100 Visits für CDU.de und 42.400 Visits für die CSU klar unterdurchschnittlich ab. Auch die Aufenthaltsdauer von im Schnitt 1:52 Minuten ist eher schwach. Dass die Partei der Kanzlerin gerade nach ihrem viel belächelten „Das Internet ist für uns alle Neuland“- Zitat dennoch keine stärkere Performance im Internet zeigt, ist schon verblüffend. Nur der CSU verdankt die Union, dass es auf Facebook nicht ganz so desaströs aussieht: die CSU schneidet hier mit 185.000 Likes deutlich stärker ab als die CDU mit nur 138.000 Likes. Da Facebook als globales Medium keine Landesgrenzen kennt, profitiert die CSU hier sicher auch von Anhängern außerhalb von Bayern. Allein die Kanzlerin kommt allerdings auf über 2,4 Mio. Facebook Fans.

Die SPD liegt mit derzeit 187.600 Visits knapp vor den beiden Unionsparteien bei den Website-Visits und ist allein verglichen mit der CDU auch stärker auf Facebook. Bemerkenswert ist auch die deutlich längere Aufenthaltsdauer von 3:10 Minuten, was auf attraktivere Inhalte schließen lässt als bei der Union. Martin Schulz ist mit 351.000 Fans auf Facebook mehr als doppelt so beliebt wie Christian Lindner, der stark auf soziale Medien setzt, allerdings auch sehr weit hinter Angela Merkel.

Obwohl die Wählerschaft der GRÜNEN in den letzten Jahren deutlich gealtert ist, verfügt die Partei immer noch über eine höhere Beliebtheit bei den jüngeren und damit Internet-affineren Wählern. In Relation zur Größe der Partei sind 144.900 Facebook Likes und über 112.000 Visits ein ordentlicher Wert, wenn auch nicht so hoch, wie zu erwarten gewesen wäre. Erstaunlich schlecht schneidet die Website bei der mobilen Nutzung ab: das Google Prüfsystem TestMySite ermittelt hier eine mobile Ladezeit von inakzeptablen 15 Sekunden, dem schlechtesten Wert aller untersuchten Parteien.

DIE LINKE kommt mit über 200.000 Likes auf Facebook auf Rang drei hinter Union und AfD. Bei der Website-Nutzung liegt sie mit 119.300 Visits in etwa auf Augenhöhe mit den GRÜNEN, allerdings mit einer viel besseren mobilen Optimierung der Website und entsprechend besseren Ladzeiten.

Die FDP liegt mit 121.000 Visits noch vor den GRÜNEN, wenn auch bei den Likes mit knapp über 100.000 am Ende des Feldes. Hier ist allerdings die starke Personalisierung auf den Spitzenkandidaten Christian Lindner zu beachten, der mit 159.000 Likes deutlich stärker abschneidet als seine Partei.

Sowohl bei den Website-Visits als auch auf Facebook führt überraschenderweise die sog. „Alternative für Deutschland“ das Feld an. Die AfD erreicht im Juli 235.900 Visits und über 330.000 Facebook Likes. Auch die Besuchszeit von 2:52 Minuten auf der Website spricht für eine intensive Nutzung der Website. Diese sehr hohen Werte bei der AfD in Relation zur voraussichtlichen Wählerschaft ist möglicherweise ein Ausdruck der geringeren Präsenz in den Medien sowie der schwächeren Organisationsstruktur: um überhaupt noch mit der eigenen Basis kommunizieren zu können, setzen diese Parteien stärker auf das Internet als z.B. die CDU. Sehr schwach ist dagegen die mobile Optimierung der Website mit 14 Sekunden Ladezeit.

Insgesamt nutzen vor allem die kleineren Parteien die Möglichkeiten der direkten Kommunikation mit dem Wähler erfolgreicher als die etablierten Parteien. Selbst nach dem überraschenden Wahlerfolg von Donald Trump in den USA haben die großen Parteien das Potential der Onlinekommunikation immer noch nicht erkannt. Auch die Bewegung des neugewählten Präsidenten Emmanuel Macron im Nachbarland Frankreich schaffte es mit der eigenen Website en-marche.fr zur Wahl auf beeindruckende 4,1 Mio. Visits im Mai lt. SimilarWeb. Von solchen Traumwerten sind alle deutschen Parteien meilenweit entfernt.

Es bleibt abzuwarten, ob in der heißen Kampagnenphase noch andere Akzente gesetzt werden. Allerdings ist es sehr schwer einen Rückstand bei Facebook-Followern oder bei der Optimierung der Website für Suchmaschinen oder das mobile Web noch innerhalb der nächsten 6 Wochen aufzuholen.